Name: Daniel Gad
Alter: 43
Aktueller Wohnort: Hildesheim (natürlich)
Studienfach: Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis
Abschlussjahr: 2006

Was ist dein beruflicher Werdegang? Was machst du heute?
Durch meine Diplomarbeit über Kulturarbeit in Nicaragua ergab sich die Option, mir selbst eine Stelle bei Pan y Arte in Münster, einer Netzwerk- und Spenden-Akquise-NGO, zu schaffen. Da daraus dann nur bedingt etwas wurde, beschloss ich mein Engagement insbesondere auf die Fortführung meiner Diplom-Forschung in ein Promotionsprojekt auszurichten, begleitend entstanden Honorar-Kontakte zum Goethe-Institut, dem Deutschen Entwicklungsdienst und der Heinrich-Böll-Stiftung. Wäre das so nicht passiert, hätten Nebenschauplätze mit eigenen Potenzialen – zum Beispiel mit meiner Band Makumbik, im Musik-Kindertheater oder auch die Jugendarbeit mit Video – die Himmelsrichtung angeben können. Das Promotionsstipendium führte letztlich dazu, mir in einem zweiten Anlauf eine Stelle zu schaffen, diesmal erfolgreich, indem ich zusammen mit Wolfgang Schneider am Institut für Kulturpolitik einen UNESCO-Lehrstuhl etablierte. 2015 wurde meine Stelle als Geschäftsführer des UNESCO-Lehrstuhls an der Uni Hildesheim entfristet. Eine besondere Freude ist mir dabei die Schaffung der Studienvariante Bachelor Plus, in der ich meine eigenen internationalen Reiseerfahrungen in das Hildesheimer Kuwi-Studium integrieren konnte. Derzeit gestalten wir die spannende Generationenübergabe von Wolfgang Schneider an dessen Nachfolger als Kulturpolitikprofessor, Julius Heinicke.
Inwiefern war das Studium dafür hilfreich?
Wie so viele Andere würde ich rückblickend ganz anders und zielgerichteter studieren. Aber vielleicht war gerade die große Mischung aus so vielem das Richtige für mich. Ich denke, dass Netzwerken mein größtes Talent ist und die offene Hildesheimer Struktur hat mich genau darin gestärkt, ganz ohne Modulhandbuch oder Seminararbeit. Doch erinnere ich auch konkrete einzelne Seminare und Dozenten, die für mich bis heute Impulsgeber und Wegeröffner waren. Einen Anreiz zu erhalten aber auch die Bestätigung, dass man in einem Thema oder einer Arbeitsweise talentiert ist, das ist entscheidend. Womöglich wäre für mich persönlich ein deutlich verschulteres Grundstudium sehr sinnvoll gewesen, um die Freiheit des Hauptstudiums auch wirklich auszukosten. Generell möchte ich aber ein fünfjähriges Studium nicht missen. Das Hildesheimer Konzept kann sich nicht nach drei Jahren entfalten.
Die aktuelle Ausgabe des Magazins kultur! Beschäftigt sich dem Thema Digitalisierung, da wir uns als Verein diesem Thema zurzeit auch strukturell widmen und auch das Magazin zukünftig stärker in digitaler Form anbieten möchten. Welche Rolle spielt Digitalisierung zurzeit für dich persönlich und in deinem beruflichen Kontext? Welche Chancen und Herausforderungen siehst du?
Im Rahmen des UNESCO-Lehrstuhls und der daran angebundenen Internationalisierung ist Digitalisierung ein bekanntes und etabliertes Thema. Und dennoch sehe ich weiterhin, wie sehr wir hier noch in Kinderschuhen unterwegs sind. Cloud-Services und Videokonferenzen nutzen wir seit Jahren zusammen mit unseren Partnern etwa in der arabischen Region oder auf dem afrikanischen Kontinent. Online-Lehre war dagegen bisher ein marginaler Bereich und (sorry!) Dank der Corona-Pandemie haben wir diese nun endlich ausgiebig schätzen und hassen gelernt. Wenn ich aber überlege, wie viel selbstverständlicher wir heute Expert*innen aus dem Ausland online zu einer Diskussion dazuschalten, dann sehe ich das gewaltige Potenzial, wenn Anreisewege, Visabeschränkungen, fehlendes Budget und dichte Terminkalender praktisch kein Thema mehr sind. Zugleich beobachte und begleite ich mit großer Freude meine Kinder: Wie wäre wohl meine Jugend (und auch mein Studium) anders verlaufen, wenn der Zugang zu ästhetischer Vielfalt und Wissen zu Musikstilen, Videoclips und Tutorials so einfach gewesen wäre wie heute?! Die Zukunft von Lehre und Teamarbeit wird definitiv eine Mischung aus analog und digital sein. Nur die Methodik und die Technik gilt es noch weiter zu erlernen und weiterzuentwickeln.
Wie kann sich der Verein in deinen Augen hinsichtlich Digitalisierung weiterentwickeln?
Anliegen eines Alumnivereins ist es ja, das Gemeinsame zu halten, zu zelebrieren, die Familienzugehörigkeit zu pflegen und den zur Studienzeit eröffneten Austausch mit Gleichgesinnten fortzuführen. Zugleich sind wir alle mit zu vielen Informationen konfrontiert. Mein E-Mail-Postfach enthält unlesbar viele E-Mails. Es ist eine riesige Herausforderung, auf alle meine ausgewählten Messenger-Dienste zu reagieren, geschweige denn, mal in Ruhe ein Magazin oder ein Buch zu lesen. Dennoch denke ich, dass die Digitalisierung dem Kernanliegen eines Alumnivereins dienlich sein kann. Gemeinsame Themen, nicht nur Text, sondern auch Fotos oder gar Videoclips können über digitale Wege einfach einen Adressaten finden. Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl kann so noch intensiver erlebbar werden, gerade dann, wenn Beteiligung und Austausch stattfinden. Allerdings unter der Voraussetzung, den richtigen Weg durch die Datenflut zu wählen.
In diesem Zuge interessiert uns nicht nur digitaler Wandel, sondern auch die Corona-Situation, sowohl aus Perspektive von Dozierenden als auch von Studierenden und Alumni. Es soll dabei keine Klageschrift werden, sondern ein echter, ehrlicher Blick, wie es uns allen damit geht und wie der Kulturbereich die Herausforderungen sieht und auch meistern kann. Was sind deine Gedanken dazu?
Ich selbst nehme die Corona-Pandemie wahr als einen Moment des sehr lange die Luft Anhaltens und des Befragens und Wertschätzens dessen, was mir wichtig ist. Das war und ist purer Stress und große Beruhigung zugleich. Das reiche Deutschland gewährt uns dabei einen unglaublich langen und weiterhin ruhigen Atem, was für ein unfassbarer Schatz!
Wie oben erläutert, zwangen uns die Umstände auch zu einem einzigartigen Experiment, die Chancen und Grenzen, Bedarfe und Ansprüche der Digitalisierung umfangreich im Alltag, ob im Büro, dem Musikunterricht meiner Kinder oder dem Kontakt zu Freunden und Familie zu erproben. So sehr ich die letzten Monate gerne streichen und durch die alte Normalität ersetzen wollen würde, so sehr möchte ich diesen Türöffner in die Zukunft der Kommunikationsstrukturen auch nicht missen.
Durch meine Arbeit erfahre ich viel über die Situation in anderen insbesondere nicht europäischen Ländern. Die wirklich existenzielle Bedeutung des Wohlfahrtstaates wird mir so erst richtig bewusst. Parallel ist die aktuelle Debatte um Sicherung und Einschränkung von Grundfreiheiten überaus spannend und relevant geführt zu werden.
Die spontan verordnete Online-Lehre auf dem Kulturcampus hat die Universität und viele Momente unserer Lehre reichlich nackt, unerfahren und nur begrenzt schnell nachjustierend erscheinen lassen. Wie quer durch den deutschen Bildungssektor zu beobachten, ist bis heute die digitale Infrastruktur nicht zufriedenstellend vorhanden und das Wissen um die passenden Methoden, digitale Lehre zu machen, ist deutlich zu gering und einfältig. Dabei fehlt es definitiv auch an Austausch und qualifizierter Beratung, obgleich dies zur vorherigen Präsenz-Lehre auch kaum existierte. Darüber hinaus nur wenig bedacht waren bisher die psychosozialen Entbehrungen durch das Ausbleiben von Präsenz. Wir werden beobachten müssen, wie es gerade den beginnenden Bachelor-Studierenden ergehen wird, wenn die Einführungswoche kaum, Empfänge und Partys gar nicht stattfinden dürfen und das Gruppengefühl in den Lehrveranstaltungen durch die nötige aber auferlegte soziale Distanz sicherlich beeinträchtigt sein wird. Unsere Studierenden sind zwar Erwachsene, aber die Uni ist hier nicht der Verantwortung komplett entbunden. Umso mehr bemühen wir uns nun um ein sogenanntes hybrides Wintersemester mit punktuellen Präsenzmomenten.
Welche Anregungen oder Wünsche hast Du für zukünftige Hildesheimer vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen und auch hinsichtlich des digitalen Wandels?
Das Zusammenwirken im Team und die Vielfalt an Kompetenzen sind sicherlich das zentrale Rezept zum Arbeiten im Kulturbereich. Der Umgang mit neuen Formen des Miteinanders, das beharrliche Austesten von Alternativen, wenn das Vorgefundene noch nicht zufriedenstellt, sind aktuell mehr denn je gefragt.